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Datum: 22.02.2019

Landkreis Oberhavel stellt sein neues Arbeitsmarktprogramm vor

Neue Instrumente wie Teilhabechancengesetz und GATE 25 sowie Strukturwandel im Jobcenter sichern künftig nachhaltige Betreuung Langzeitarbeitsloser

Matthias Kahl, Dezernent für Arbeit und Soziales, und Tim Weimer, Leiter des kommunalen Jobcenters Oberhavel, haben heute das neue Arbeitsmarktprogramm für die Jahre 2019/2020 vorgestellt, das am 13.03.2019 vom Kreistag beschlossen werden soll.

Das Programm dient allen am Arbeitsmarkt wirkenden Personen und Organisationen als umfassende Informationsquelle und schreibt die arbeitsmarktpolitischen Ziele des Landkreises Oberhavel fest. Es beinhaltet hauptsächlich folgenden Aufgaben:

  • Maßnahmen für Leistungsbezieher
  • Arbeitgeberservice
  • Strukturwandel im Jobcenter selbst

Zudem gilt es für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jobcenters als Orientierungshilfe und Arbeitsgrundlage. Das Dokument ist auch als ein Ergebnis der vergangenen zwei Jahre zu betrachten, in denen Matthias Kahl und Tim Weimer für diesen Bereich die Verantwortung tragen. In dieser Zeit haben sie zahlreiche Prozesse und Abläufe im Jobcenter auf den Prüfstand gestellt und Veränderungen angestoßen. Dies war notwendig geworden, da sich gesellschaftliche Rahmenbedingungen zum Teil stark gewandelt haben.

Die vergangenen wirtschaftsstarken Jahre sind durch einen stetigen Rückgang der Zahl der ALG II-Empfänger sowie der Bedarfsgemeinschaften geprägt worden. Gab es im September 2017 noch 13.580 leistungsberechtigte Personen in Oberhavel, so waren im September 2018 nur noch 12.012 Personen im Leistungsbezug. Die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften hat sich im gleichen Zeitraum von 7.895 auf 7.096 reduziert. Langzeitleistungsbezieher – das sind Leistungsberechtigte, die in den vergangenen 24 Monaten mindestens 21 Monate hilfebedürftig waren – gibt es statt 7.099 in 2017 jetzt noch 6.737 in 2018 (Senkung um 5,1 Prozent). Im Landesvergleich liegt Oberhavel hier an vierter Stelle.

„Dieser Rückgang ist grundsätzlich sehr erfreulich, heißt das doch, dass weniger Menschen von SGB II-Leistungen abhängig sind. Eine aktuelle Analyse hat jedoch ergeben, dass mehr als 70 Prozent der Leistungsberechtigten im Jobcenter Langzeitleistungsbezieher und damit arbeitsmarktfern sind. Die Betreuung des Großteils dieser Menschen ist demnach mit steigendem Aufwand verbunden“, erläuterte Matthias Kahl. "Daher hat sich der Bund im vergangenen Jahr entschlossen, die Jobcenter trotz sinkender Bedarfsgemeinschaftszahlen finanziell besser auszustatten." So erhielt der Landkreis vom Bund 2018 für Eingliederungsleistungen 9.288.767 Euro und für Verwaltungskosten 13.087.862 Euro. Für das Haushaltsjahr 2019 stellt er für Eingliederungsleistungen 10.604.712 Euro (rund 14,2 Prozent mehr) und für Verwaltungskosten 13.919.116 Euro (rund 6,4 Prozent mehr) zur Verfügung.

Teilhabechancengesetz
„Mit dem Teilhabechancengesetz ist das SGB II zum 01.01.2019 um arbeitsmarktpolitische Instrumente erweitert worden", führte Jobcenterleiter Tim Weimer aus. "Wir werden diese so einsetzen, dass sie der Region nutzen und besonders Menschen gefördert werden, die dem Arbeitsmarkt sehr fern sind. Aktuell sind knapp die Hälfte so genannte Betreuungskunden, das heißt, bei ihnen muss die Beschäftigungsfähigkeit zunächst mithilfe verschiedener Unterstützungs- und Betreuungsangebote entwickelt werden. Kostenzuschüsse von bis zu 100 Prozent und bis zu fünf Jahren für Arbeitgeber ermöglichen uns ein kontinuierliches, langfristiges und nachhaltiges Arbeiten mit den Betroffenen bei begleitendem Coaching. Damit haben diese viel mehr Teilhabechancen am gesellschaftlichen Leben."

Dass es in den vergangenen Jahren noch nicht ausreichend gelungen ist, bei den Langzeitleistungsbeziehern zu einem signifikanten Rückgang der Zahlen zu kommen, liegt nicht zuletzt auch in der Struktur des regionalen Arbeitsmarktes begründet; denn der ist zunehmend ein Fachkräftemarkt geworden. Ziel der nächsten zwei Jahre muss es daher sein, einerseits Menschen für die Anforderungen dieses Arbeitsmarktes zu qualifizieren, andererseits aber auch die regionale Wirtschaft verstärkt als Partner zu gewinnen, um arbeitsmarktfernen Menschen neue Chancen und Perspektiven zu eröffnen. In die Prozesse des Jobcenters werden künftig Institutionen wie die Wirtschaftsförderung, die Kammern und die örtlichen Arbeitgeberverbände (Mittelstandsverband etc.) sowie Bundesagentur für Arbeit noch stärker eingebunden.

GATE 25 – Integration von jungen Menschen
unter 25 Jahren
Ein weiterer Schwerpunkt im neuen Arbeitsmarktprogramm ist die Integration von unter 25-jährigen Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt. Dazu steht den jungen Menschen ein gesondertes Team U25 zur Seite. Eine wesentliche Schnittstelle ist hier die Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe vor Ort. Um die Zusammenarbeit zu intensivieren und auch transparenter zu machen, soll eine "Gemeinsame Agentur für Teilhabe und Eingliederung junger Menschen unter 25 Jahren" – die so genannte GATE 25 – errichtet werden.

„Ziel ist es, junge Menschen in ihren unterschiedlichen Lebenslagen gezielt zu beraten und zu begleiten sowie die Unterstützungsangebote des Jobcenters und der Jugendhilfe besser zu verzahnen", erläutert der Dezernent. Perspektivisch werden auch die Fachbereiche Schulangelegenheiten und Gesundheit in die GATE 25 mit eingebunden, mit dem Ziel eines ganzheitlichen Beratungsangebotes unter einem Dach ein.

Integration Zugewanderter
Mit der starken Flüchtlingszuwanderung seit 2015 hat sich für das Jobcenter Oberhavel ein neuer Handlungsschwerpunkt ergeben. Es betreute im Jahresdurchschnitt 2018 aus den Hauptherkunftsländern etwa 1.150 Leistungsberechtigte in rund 570 Bedarfsgemeinschaften. Annähernd 800 Leistungsbezieher gelten als erwerbsfähige leistungsberechtigte Personen.

Einer Integration dieser Personengruppe in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt geht in der Regel zunächst die Sprachförderung über die Teilnahme an Integrations- beziehungsweise Berufssprachkursen voraus. „Von zentraler Bedeutung für eine erfolgreiche Arbeit sind hier vor allem unsere lokalen Netzwerkpartner. Das Jobcenter arbeitet mit den kommunalen Bildungskoordinatoren, den Fachbereichen Jugend sowie Soziales und Integration eng zusammen“, sagt Tim Weimer.

Arbeitgeberservice für den direkten Arbeitsmarktzugang
Der Arbeitgeberservice (AGS) des Jobcenters Oberhavel ist Dienstleister für alle Arbeitgeber im Landkreis und darüber hinaus. Er berät sie und vermittelt Arbeitnehmer entsprechend der Bedürfnisse der Unternehmen. Die Akquise von Ausbildungs- und Arbeitsstellen konzentriert sich hauptsächlich auf klein- und mittelständische Betriebe, da hier die Integration von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten am erfolgversprechendsten ist.

Eine neue Aufgabe wird es sein, die Arbeitgeber der Region gerade für die Umsetzung des neuen Teilhabechancengesetzes verstärkt zu gewinnen und Berührungsängste zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber abzubauen. Künftige wird es mehr Austausch- bzw. Begegnungsformate wie Infoveranstaltungen, Arbeitgeber- oder Bewerbertage und Jobmessen sowie eine gezielte bewerberorientierte Vermittlung geben. Durch eine intensivere Nachbetreuung sollen arbeitslose Menschen nachhaltiger in Arbeit vermittelt werden.

Neue Struktur im Jobcenter
„Unsere Kolleginnen und Kollegen im Jobcenter sollen die langzeitarbeitslosen Menschen nicht nur mit ihren vielfältigen Vermittlungshemmnissen sehen, sondern vielmehr deren Potenziale und Ressourcen erkennen und diese im Beratungsprozess gemeinsam erarbeiten“, erläutert Tim Weimer. Um diesen Prozess zu unterstützen, gab es 2017 eine Organisationsuntersuchung in Teilen des Jobcenters. Das im Bereich SGB II renommierte Beratungsunternehmen gfa public GmbH hat hierzu die Bereiche Leistungsgewährung und Servicecenter untersucht und einen umfangreichen Ergebnisbericht mit Empfehlungen vorgelegt.

Diese werden seit September 2017 sukzessive umgesetzt. So soll die Führungsarbeit im Jobcenter transparenter und verlässlicher werden und zu einer Weiterentwicklung in der gesamten Organisation beitragen. Die Kompetenzen der Teamleitungen wurden inhaltlich gestärkt, die fachdienstübergreifende Zusammenarbeit durch Erarbeitung gemeinsamer Führungsinstrumente gefördert. Seit Anfang 2018 finden Workshops und Seminare zur Erarbeitung eines gemeinsamen Führungsverständnisses und einer veränderten Führungskultur statt.

Konkrete Unterstützung erhalten die Beschäftigten seit August 2017 durch die Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt (BCA). Die BCA ist Mitarbeiterin des Jobcenters. Sie berät und unterstützt die Kolleginnen und Kollegen, erwerbsfähige Leistungsberechtigte und Arbeitsmarktpartner in Fragen der Gleichstellungsförderung. Darüber hinaus ist das Jobcenter der Pilotbereich für die Einführung eines Dokumentenmanagementsystems (DMS). Die für 2019 geplante Einführung des DMS im Jobcenter bildet das Fundament einer digital arbeitenden und effizienten Verwaltung der gesamten Kreisverwaltung.

Serviceorientierte Analyse- und Beratungsmethoden
Im Jobcenter Oberhavel gibt es bisher keine Unterscheidung zwischen Fallmanagement und sonstiger Betreuung und Vermittlung. "Künftig geht es neben neuen Coachingmethoden vor allem um die Entwicklung einer neuen Beratungshaltung, die durch Empathie, professionelle Distanz und einen ressourcenorientierten Ansatz geprägt sein wird. Dieser Beratungsansatz zielt darauf ab, gemeinsam mit den Kunden an ihren vorhandenen Stärken zu arbeiten. Es ist wichtiger zu ermitteln, was sie können und nicht, was sie nicht können. Hier ist auch ein Perspektivenwechsel in der Beratung nötig. Fallmanager sollen im Beratungsprozess zum 'Begleiter' auf Augenhöhe werden“, so Weimer.

2018 wurde mit einer Analyse der bestehenden Beratungspraxis im Fallmanagement begonnen, die noch andauert. Diese Analyse soll sichtbar machen, über welche Beratungskompetenzen die Fallmanager verfügen und welches Beratungsverständnis im Alltag gelebt wird. Hierfür werden stichprobenartig Fallakten begutachtet sowie die Datenpflege im Anwendungssystem untersucht, Beobachtungen der Beratungsgespräche in Form von Hospitationen und Nachbefragungen der Fachkräfte zu den Gesprächen werden folgen, ebenso wie Maßnahmen zu Unterstützungs- und Schulungsbedarfen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. "All das soll die Beratungsqualität entscheidend steigern“, verspricht Weimer.

„Wir haben erkannt, dass Kenntnisse über den Lebenslauf und die formalen beruflichen Qualifikationen allein für eine erfolgreiche Vermittlung nicht mehr ausreichen. Als Hilfsmittel bei der Kompetenzfeststellung auf Seiten der Leistungsbezieher wird daher bereits seit 2016 die ABC-Analyse eingesetzt. Die ABC-Analyse ist ein onlinebasiertes Verfahren, mit dem individuelle Merkmale – Attitudes, Balance und Competences (Einstellungen, Balance und Kompetenzen) – einer Person ermittelt werden. Die ABC-Analyse soll eine verlässliche und objektive Grundlage zur Beurteilung des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ermöglichen. Sie soll Aufschluss über die so genannten "Soft Skills", also die "weichen Faktoren", wie Einstellungen, Motivation, Stabilität und Kompetenzen geben. Daneben analysiert sie detailliert die persönliche Belastbarkeit einer Person in Verbindung mit einer Einschätzung der Integrationswahrscheinlichkeit.

Derzeit sind zwölf von 79 Fallmanagern als ausgebildete ABC-Coaches befähigt, die ABC-Analyse durchzuführen. In den kommenden beiden Jahren wird der fachliche Austausch der ABC-Coaches untereinander verstärkt gefördert, zudem sind Weiterbildungen geplant, um die Arbeit mit dem Instrument weiter zu vertiefen.

Abschließend hebt Arbeitsdezernent Matthias Kahl noch einmal hervor: „Arbeitslosigkeit abzubauen ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe, die nur gemeinschaftlich durch viele Kräfte gelöst werden kann. Unter dem Leitgedanken 'Stark. Sozial. Vor Ort' ist es das Ziel unsers Jobcenters, eine serviceorientierte Dienstleistungsbehörde mit sozialem Charakter zu sein, denn diese soziale Stärke schafft Vertrauen und Akzeptanz."

Das Arbeitsmarktprogramm zum Download.

Matthias Kahl, Dezernent für Arbeit und Soziales (links im Bild), und Tim Weimer, Leiter des Jobcenters Oberhavel.

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